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Klassik Heute

2024

Besprechung CD
Beth Levin
Phantasmata

Beth Levin, die 2024 europäische Metropolen mit einem Mozart-,  Tiessen- und Schubert-Soloprogramm bereisen wird, hatte in früheren  2000er Jahren größte Variationenwerke Beethovens (op. 120) und Bachs  aufgenommen: „consistently fascinating“ (New York Times), „simply  stunning“ (Robert Levine), und Bachs Variationen-Olymp über die Goldberg-Aria „always in love with the notes“ (Fanfare Magazine). Ähnliches ist nun  in ihren im Mai 2022 entstandenen Studioaufnahmen zu erleben.


Singende, lyrische Tugenden


Anders als in zahllosen  Liszt- und Mussorgsky-Interpretationen einiger früherer Tastenlöwen wird  von Beth Levin in der Lisztsonate und in Bilder einer Ausstellung über Intervalle, Motive, Themensegmente niemals hinweggehuscht; nichts  erscheint hingewischt, nichts klingt brutal wie in Stein gehauen.  Manches könnte an das poetische Klavierspiel eines Wilhelm Kempff  erinnern, an dessen beste, interessanteste Zeiten. Beth Levin, der  pianistisch Phantasievolles und instrumentale Narrativität einfach im  Blut liegen, führt sehr schön ausspielend durch die Lisztsonate in einer  bei ihr fast 36 Minuten währenden Weise, von der übrigens auch das  Kennerlernen, Zum-ersten-Mal-Hören dieses Geniestreichs sehr profitieren  könnte.


An einigen wenigen Stellen könnte die Frage auftauchen, ob Beth  Levin Steigerungen zu behäbig und – etwa das Fugato – einfach zu zahm,  zu wenig (nach vorne) gerichtet angeht. Oder liegt es an  Wiedergabegeräten (Marantz Player, mit Sennheiser HD 600 gehört), dass  der Flügel etwas dumpf und bisweilen etwas topfig klingt? Davon  abgesehen, dass die Diskantchöre des Flügels nicht ganz frei von  unerwünschten Schwebungen scheinen, bleiben schließlich die bei Beth  Levin risikoarmen Schlussoktaven etwas brav. Dies betrifft wenige  Momente; über weite Strecken macht die Aufnahme Lust, Beth Levin wieder  und auch live zu hören.


Brahms, Wagner, Liszt?


Möchte man spekulativ an  Johannes Brahms denken, wie er am Flügel sitzt und Liszts großartige  Sonate aufführt, aufgeführt haben könnte? Auf die Frage nach der  Bedeutung des Wörtchens „presto“ soll Brahms die Antwort gegeben haben  „nicht so schnell!“ Auch der Ästhetik Richard Wagners, dessen ebenso  enthusiastische wie feine Reaktion auf die Sonate im interessanten  Booklet zitiert wird, entsprechen Beth Levins Tiefsinn, Klang- und  Phrasierungssensibilität.


Zu den objektiven Schwächen der Produktion gehört, dass nach dem  singulären Sonatenschluss, dem gespenstisch kurzen, voluminös  obertonreichen Subkontra-H unter ganz oben gleichsam bei gedämpftem  Licht ausschwingenden Dur-Sextakkorden leider kaum eine Pause, kaum  Stille, keinerlei Atem bleibt vor dem Anheben der Promenade der Bilder einer Ausstellung.


Originell und musikantisch


Agogisch interessant,  entfaltet Beth Levin ab der ersten Promenade eine gute Wucht, Bydlo  klingt harsch, die nächste Promenade fließt ganz wunderbar, das Alte  Schloss wirkt agogisch frei, expressiv, die Küken originell und  musikantisch. Mit Levins Baba Yaga Charakteren geht es mir ähnlich wie  mit dem Mephistophelischen in der Lisztsonate, doch spätestens durch das  Große Tor von Kiev lasse ich mich von der Pianistin wieder gerne  geleiten.


Fazit: Beth Levin habe ich lieber angehört als jene vielen  Pianisten, in deren kraftvollen Händen die immer wieder wunderbaren,  fesselnden Bilder einer Ausstellung zu einem Schlachtfeld von Fortisissimo-Schlägen geronnen sind. Dem  gegenüber hält Levin das Gegengift einer mitunter fast zerbrechlich  wirkenden Hörsensibilität bereit. Ihre Agogik bejahe ich überall dort,  wo rhythmische Prägnanz nicht zu kurz kommt oder die kinetische Energie  der Tonalität (im Sinne Ernst Kurths) leidet.

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